Rettungsdienst Tirol: Warnung für Deutschland?

Innsbruck (rd.de) – Vor einem Jahr hat die Rettungsdienst GmbH, eine Bietergemeinschaft der Hilfsorganisationen, den Rettungsdienst in Tirol (Österreich) nach einer Ausschreibung übernommen. Doch der Rettungsdienst des gesamten Bundeslandes schreibt tiefrote Zahlen. Jetzt wird sogar eine Insolvenz erwogen. Das Vergaberisiko einer Insolvenz durch unrealistische Angebote ist auch in Deutschland denkbar.

Für 2011 hat die Rettungsdienst GmbH ein Defizit von 3,67 Millionen Euro eingefahren. In der Vorausschau auf 2012 fehlen rund sechs Millionen Euro in der Kasse. Mit dieser Aussicht ist eine Fortführung der GmbH nicht machbar.

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Unklar ist, wer für die Mehrkosten aufkommen soll. Die Bezirke, in Verantwortung für die Sicherstellung des Rettungsdienstes, machen Druck auf das Land. Der damalige konkurrierende Mitbieter, die Firma Falck, hat für den Fall eines Ausgleichs der Mehrkosten mit einer Klage gedroht. Grund: Wenn das Land nun nachschießt, war das Angebot der Bietergemeinschaft unrichtig.

Der Vergebende trägt Verantwortung

Eine Situation, wie sie sich gerade in Tirol entwickelt, ist auch in Deutschland nicht ausgeschlossen. Jens-Christian Petri, Geschäftsführer der Orgakom Analyse + Beratung GmbH aus Waldbronn, sieht auch bei uns Bieter in die Gefahr laufen, bei Ausschreibungen Preise anzubieten, die hinterher nicht haltbar sind. „Die Herausforderungen liegen aber auch beim Vergebenden. Bei der Prüfung der eingehenden Angebote muss die Auskömmlichkeit beurteilt werden können, um Vergaberisiken zu minimieren“, so Petri.

Das Ergebnis einer solchen Prüfung muss zudem Vorrang vor politischen Interessen haben. „Es ist gerade die Erfahrung, dass der kleinste Preis das Rennen macht, der den Druck erzeugt, das niedrigste Angebot abzugeben“, glaubt Petri. „Mit einer Prüfung der Angebote auf Auskömmlichkeit könnten unrealistische Angebote aussortiert werden, womit auch weniger Anreize gesetzt werden, um jeden Preis billig anzubieten.“

Das Beispiel aus Tirol zeigt, dass die Taktik mit günstigen Angeboten Ausschreibungen zu gewinnen und später darauf zu vertrauen, eine Erstattung der Mehrkosten zu erreichen, nicht länger aufgehen wird.

Grünen wollen Landtag einberufen

Die Grünen in Tirol erneuerten derweil ihre Kritik am Weg der europaweiten Ausschreibung. “Wenn Landesrat Tilg dem Roten Kreuz für die nachweislich erbrachten Mehrleistungen nicht mehr Geld gibt, schlittert die Rettungsdienst GmbH in die Insolvenz. Das ist völlig unverantwortlich und würde den Scherbenhaufen, der ohnehin schon da ist, noch vergrößern”, analysiert Gebi Mair. Das werde man nicht zulassen. Der Landtagsabgeordnete kündigte an, notfalls einen Sonderlandtag einberufen zu wollen.

(26.07.2012)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Damit ist doch in allen Bereichen, in denen das so gehandhabt wird, zu rechnen. Oder wie jetzt bei den Olympischen Spielen in London, wo Polizei und Militär das auffüllen müssen, was die “Privatwirtschaft” nicht hin bekommt.
    Ellbogenkapitalismus auf dem Rücken von Kunden (Patienten) und Mitarbeiter.

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  2. Das kommt dabei raus, wenn der Preis das Kriterium ist und nicht die Leistung

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  3. An alle Falck-Kritiker!
    Falck hat bei den Ausschreibungen nie gewonnen, weil sie sich nicht unter Wert verkaufen. Also wer macht Lohndumping? Die HiOrgs oder der Private Falck?
    Gesundheit soll und darf keine Ware sein, die an den billigsten abgegeben wird.
    Bitte haltet die Qualität hoch und auch die Löhne.
    Ruhigen Dienst euch allen.

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  4. Falck hat von Anfang an darauf hin gewiesen, dass das Angebot der Bietergemeinschaft nicht die Kosten deckt. Jetzt eine Erhoehung im nachhinein
    zu fordern, ist absolut unserioes. Jeder Private waere daraufhin Pleite!

    Ab in die Insolvenz! Unternehmerisches Risiko und die Verantwortlichen in die Haftung nehmen!

    Haus gemachte Probleme auf die Allgeimeinheit abwaelzen, geht auch nicht bei Schlecker…

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  5. Wer nicht richtig rechnen kann sollte einfach nicht mitbieten!

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  6. Was mich sprachlos macht ist die Reaktion der Grünen zu diesen Vorgängen. Gerade von dieser Partei meine ich erwarten zu können daß sie sich gegen diesen Filz einsetzt und nicht noch dies nachträglich moralisch rechtfertigt!

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  7. darum geht es doch gar nicht, gerechnet wurde wahrscheinlich schon richtig. Nur wurde das Angebot den Wettbewerbern “angepasst” im Vertrauen auf eine entsprechende Lobbyarbeit.
    Nicht überall wo Konzern der Menschlichkeit draufsteht……. na ihr wisst schon was ich meine

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  8. Europa hin oder her, bei so einer Leistung die hier vergeben wird sollte nicht billig besser sein. Denn wo wird denn gespart an den Lohnkosten und damit an der Qualität!

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  9. Zunächst mal hat diese Angelegenheit wie alles andere auch seine 2 Seiten. Zum Einen das Land, das auf Biegen und Brechen einen unrealistischen Maximalbetrag durch entsprechende Angebote bestätigt haben wollte und deshalb solange “ausgeschrieben” bis man bekommen hat was man wollte.
    Zum Anderen aber auch die Bietergemeinschaft, beinahe monopolistisch ÖRK-dominiert (die anderen HiOrgs spielen nur eine ganz kleine Rolle), die bereit war als einzige ein derart unrealistisches “Angebot” wie gefordert abzugeben.
    Insofern trifft wohl beide Seiten die Schuld. Weiteres Öl wird darüber hinaus noch in Form unterschiedlicher Bezahlungen der Mitarbeiter ins Feuer gegossen, und auch die Hubschrauber-Problematik, bei der das Land aufgrund vertraglicher Einigung mit den Privatanbietern nochmals mehr als eine halbe Million Euro pro Jahr dazuzahlen darf, vereinfacht die Sache nicht, auch wenn die RD-GmbH damit nichts zu tun hat. Aber alle unterstehen dem Gesundheits-Landesrat Tilg, der maßgeblich für dieses Desaster verantwortlich ist…

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  10. also das mit dem “aussortieren” von unrealistischen Angeboten ist so eine Sache. Jedenfalls sind die duetschen Vergabekammern und Oberlandesgerichte nach laufender Rechtsprechung der Ansicht, dass eine Nachprüfung erst ab einem Angebotsunterschied von 20% oder mehr erfolgen muss.

    Das gibt den Ausschreibenden sehr große Spielräume, die gnadenlos genutzt werden.

    Ein Beispiel: Ein RD-Los mit einem Gesamtvolumen von kalkulierten 10 Mio. € wird vergeben. Wenn dort zwischen dem preisgünstigsten Anbieter und dem nächstplatzierten Anbieter weniger als 2 Mio. Unterschied bestehen, muss nicht einmal eine Nachprüfung erfolgen.
    Dass allerdings dann knapp 2 Mio Unterschied im Wesentlichen aber nur bei den Personalkosten zu realisieren sind, dürfte Insidern klar sein.

    Wer hat denn nun Schuld an diesen Realitäten?

    – Die Anbieter, die durch Ausschreibungen gezwungen werden, niedrigste Preise zu kalkulieren, um im Geschäft zu bleiben oder es zu bekommen?
    – Die Politik samt Verwaltung, die mit Kostensenkungen im RD vor den Wählern “glänzen” wollen?
    – Die Kostenträger, sprich Krankenkassen/Mitglieder, die den Wettbewerb forcieren, um weniger zahlen zu müssen?

    Werden nicht alle Anbieter zwischen diesen Interessengruppen förmlich zerrieben und sind die Dummen dabei? Geben Sie am Ende nicht nur weiter, was vorher durch diese Struktur erzwungen wurde? Sollen sie deswegen aussteigen und Personal entlassen? Sind die Mitarbeiter zu Lohnverzicht bereit, des Arbeitsplatzes wegen?

    Und mal eine ketzerische Frage: Hat mal jemand die Kosten des RD offengelegt, wenn die Berufsfeuerwehr das durchführt? Tariflöhne, gute Absicherungen, Material und Ausstattung vom Feinsten. Alles Dinge, die sich alle nicht BF-ler auch wünschen würden. Und ist die Qualität der BF besser?

    Der Unterschied: Wenn es die BFmacht, bleibt den Kassen nichts übrig als zu zahlen. Da gibt es nämlich keinen Wettbewerb, der die Preise drückt.

    Müsste sich die BF auch an Ausschreibungen beteiligen, würden sie sämtliche Beauftragungen unter diesem Aspekt verlieren. Aber wenn man am Drücker sitzt…….

    Rettungsdienst gehört nicht in den Wettbewerb mit Ausschreibungen. Genau so wenig wie Polizei und Feuerwehr.

    Oder sollte sich Falck mal in den Bereich der Feuerwehren einklagen? In Dänemark machen sie das doch in diesem Bereich mit. ;-)))

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