Katastrophenschutz: Zu wenig Übung für Atomunfälle

Kernkraftwerk Neckarwestheim (Foto: EnBW / Bernd Franck, Düsseldorf)Bremen (rd.de) – Die dramatischen Ereignisse rund um die japanische Atomkraftanlage Fukushima machen klar, dass selbst ausgefeilte Technik versagen kann. Wie aber sehen die deutschen Alarmpläne für einen schweren Unfall in einem Atomkraftwerk aus? Die Recherchen von www.rettungsdienst.de ergaben für den Standort Neckarwestheim ein ernüchterndes Bild.

In der Fernsehberichterstattung rund um den Atomnotstand in Japan taucht immer wieder die Frage auf, ob angesichts der dramatischen Lage ein Schutzradius zur Evakuierung von 30 Kilometern ausreichend ist. Ein Blick in die deutschen Katastrophenschutzpläne macht klar, dass die Vorbereitungen auf einen großen Atomunfall von ähnlichen Dimensionen ausgehen.

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Mit dem seitens der Bundesregierung verkündeten Moratorium zur Laufzeitverlängerung wurde auch bekannt, dass der Atomreaktor in Neckarwestheim (Baden-Württemberg) endgültig abgeschaltet werden soll. Auch angesichts der bisher praktizierten Vorbereitung auf einen möglichen schweren Zwischenfall, erscheint diese Entscheidung nachvollziehbar.

Mit einem möglichen Atomunfall scheinen sich einige Behörden in der Region nicht wirklich zu befassen. Wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet, hat zum Beispiel der Bürgermeister der benachbarten Gemeinde Marbach im Bottwartal aufgrund der Ereignisse in Japan erstmals seit Jahren wieder den Alarmplan des Katastrophenschutzes für den Fall eines Atomunfalls in Neckarwestheim genauer studiert. Bei dieser Gelegenheit soll er überrascht festgestellt haben, dass im Keller seines Rathauses 110.000 Jodtabletten lagern.

Alles ganz sicher?

Die Koordinierung von Maßnahmen im atomaren Katastrophenschutz fällt in die Zuständigkeit des Stuttgarter Regierungspräsidiums. Ein Blick auf dessen Webseite zeigt, dass im Neckartal vor allem zwei Risiken bedeutsam sind: Erdbeben und Unfälle in kerntechnischen Anlagen. Während in Baden-Württemberg mit Erdbeben der Stärke 5 bis 6 auf der Richterskala gerechnete werden muss, weist das Erdbebenmerkbatt des Landes darauf hin, dass ein Beben der Stärke 7 unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen sei.

Die Information der Bevölkerung über mögliche Gefahren, die von einem Zwischenfall im Kernkraftwerk Neckarwestheim ausgehen könnten, überlässt der Stuttgarter Regierungspräsident der Betreiberfirma EnBW. Das Informationsmaterial beginnt, wie kaum anders zu erwarten, mit der Aussage, dass das Kernkraftwerk Neckarwestheim über Sicherheitsstandards auf höchstem internationalem Niveau verfüge. Die Vorsorge für den Fall eines schwerwiegenden Zwischenfalles folge den „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Nähe kerntechnischer Anlagen“. Diese wurden in Zusammenarbeit der Länder mit dem Bundesamt für Strahlenschutz erarbeitet.

Evakuierung im 10-Kilometer-Radius

Hier ist nachzulesen, dass die Schutzradien zur Evakuierung kleiner als jene sind, die derzeit rund um die Katastrophenmeiler in Fukushima gelten: Für Neckarwestheim zum Beispiel ist eine Evakuierung im Radius von acht bis zehn Kilometern rund um das Kraftwerk vorgesehen. In der Außenzone bis 25 Kilometern wird der Bevölkerung geraten, Türen sowie Fenster zu verschließen und in den Häusern zu bleiben. Die Ausgabe von Jodtabellen ist in einem Radius von 100 Kilometern rund um das Kernkraftwerk vorgesehen. Die Broschüre der EnBW weist einige hundert Ausgabestellen aus. Im erwähnten Marbach beispielsweise sollen die im Rathauskeller lagernden Tabletten am Feuerwehrhaus verteilt werden.

Reichen Stabsrahmenübungen aus?

Zu hinterfragen ist auch, wie die praktische Vorbereitung des Katastrophenschutzes auf einen möglichen Störfall aussieht. Die Katastrophenschutzzüge rund um Neckarwestheim verfügen zwar über Schutzanzüge und Dekontaminationseinrichtungen. Trotzdem träfe die Helfer ein Szenario mit radioaktiver Strahlung weitgehend unvorbereitet.

Stichpunktartige Nachfragen von www.rettungsdienst.de bei Katastrophenschutz-Bereitschaften im Umfeld des Reaktors ergaben, dass in den zurückliegenden 20 Jahren keine praktischen Übungen mehr stattfanden.

Dies steht im Widerspruch zu Aussagen des zuständigen Regierungspräsidiums, wo man sich sehr wohl an Übungen rund um das Atomkraftwerk Neckarwestheim erinnert.

„Im Jahr 2009 haben wir die letzte große Übung durchgeführt“, so Pressereferent Dr. Clemens Homoth-Kuhs, der bei der Übung selbst in der Stabsstelle Kommunikation dabei war. „Dabei ging es um eine Überdruck-Situation, in der radioaktive Substanzen freigesetzt wurden.“

Die Pressemitteilung zur Übung offenbart allerdings, dass es sich um eine reine Stabsübung zur Überprüfung der Einsatzpläne, Kommunikationsstränge und Abstimmung der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit handelte. Einen Tag später übten die Strahlenspürtrupps der Feuerwehren – verstärkt durch Kräfte der Landesfeuerwehrschule aus Bruchsal – das Erfassen und Übermitteln von Messdaten. Von Evakuierungsmaßnahmen oder dem praktischen Arbeiten der Einsatzkräfte mit Spezialausrüstung ist hier nicht die Rede.

Den Vorgaben des Bundes, die im Schnitt alle vier Jahre eine solche Übung fordern, mag damit Genüge getan sein. Unter einer realistischen Ernstfallsimulation verstehen Praktiker im Katastrophenschutz allerdings etwas anderes.

Neckarwestheim scheint kein Einzelfall zu sein. Wie www.rettungsdienst.de im Oktober 2010 meldete, fand zum Beispiel seinerzeit auch in Philippsburg eine Übung statt, deren Verlauf fatal an die Praxis von Neckarwestheim erinnert.

(Foto: EnBW / Bernd Franck, Düsseldorf)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Nun ja, wenn wundert das. Es ja nie etwas passiert und warum dann groß Üben. Kostet doch Geld und das haben die Kommunen ja eh nicht. Lieber auf die Aussagen der Atomlobby hören und vertrauen sowie die rosa rote Brille aufsetzen. Bei einem Atomunfall im AKW bei uns um die Ecke werde ich ganz schnell meine Familie ins Auto setzten und das Weite suchen.

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  2. Man braucht gar nicht auf große Atomlagen schauen.Im KatS werden die Einheiten oft ausgestattet ohne eine konkrete Einweisung oder Einsatzgrundsätze zu erfahren(Das brauchen/ haben wir und gut).
    Wie schon geschrieben kosten Übungen Geld und Zeit. Das gilt im Besonderen für die “Indianer”. Und diversen Stäben auf Kreisebene und höher traue ich nicht einmal die Bewältigung einer Unwetterlage zu.
    Es muß erst wieder ein dickes Ding in die Hose gehen um den Bedarf erneut in die Köpfe zu bekommen daß KatS nicht nur auf dem Papier und in Kaffeezirkeln statt findet.

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  3. Vielen Helfern fehlt auch das Wissen um die Gefahren von Strahlung und wie man sich davor schützt. Ich würde mich da jetzt auch nicht zu den Profis zählen.

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  4. Nicht nur über Strahlung sondern über komplett GABC-Stoffe wird zu wenig gewusst (mich eingeschlossen).
    Schade ist es, dass Übungen aus “Geldmangel” abgesagt werden bzw. gar nicht erst geplant werden. Einmal in XX Jahren passiert was sei es MANV oder sonst irgendetwas und dann werden die Helfer ins kalte Wasser geworfen, weil eine Übung höchstens alle 2 Jahre mal stattfindet (und dann am besten noch wenn man persönlich keine Zeit hat oder verreist ist oder sonst wie). Ooooder auf der anderen Seite die Übung so lang vorher geplant ist, dass JEDER weis wann die ist und somit JEDER da ist und es somit auch wieder absolut unrealistisch ist.
    Traurig aber wahr.

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