EU will Katastrophenschutz neu strukturieren

Brüssel (rd_de) – Die Europäische Union (EU) plant die Schaffung eines europäischen Katastrophenschutzes. Hierfür soll es eigene Einheiten geben, die von Brüssel aus in den Einsatz geführt würden. Darüber hinaus scheint in den Mitgliedstaaten eine europäische Aufsicht für Risikobewertungen und Krisenmanagementplanungen vorgesehen zu sein.

Die von den Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Gemeinschaftsverfahrens bereitgestellten Einheiten tragen derzeit noch den Arbeitstitel „rescEU“ und könnten bis zu 75 Prozent aus EU-Mitteln finanziert werden. Deren Einsatz wäre dann künftig verbindlich vorgeschrieben. Einem Beitrag von N-TV ist zu entnehmen, dass offenbar unter anderem an Löschflugzeuge, Pumpen, Feldlazarette, medizinische Notfallteams und Material für Such- und Rettungseinsätze gedacht wird.

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Das hessische Innenministerium weist darauf hin, dass die EU wegen des so genannten Subsidiaritätsgrundsatzes lediglich eine beratende und unterstützende Funktion im Bereich des Katastrophenschutzes besitzt. Die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament müssen zustimmen.

„Brüssel macht mit seiner Idee den Katastrophenschutz nirgendwo besser“

„Die Länder haben die nötige Erfahrung und das Wissen. Besonders im Katastrophenfall wird deutlich, wie sinnvoll es ist, Schutzstrukturen möglichst flächendeckend zu etablieren. Nur so ist Hilfe schnell dort, wo sie im Notfall gebraucht wird. Wenn die EU jetzt in diesem Bereich aktiv werden will, droht ein Rückbau der nationalen Anstrengungen. Brüssel macht deshalb mit seiner Idee den Katastrophenschutz nirgendwo besser, ihn aber sicherlich überall schlechter“, kritisiert der Hessische Innenminister, Peter Beuth.

Beuth sprach sich bei einer Podiumsdiskussion der hessischen Landesvertretung in Brüssel gegen die Pläne der Europäischen Kommission zur Zentralisierung des Katastrophenschutzes aus. „Die Einführung von EU-eigenen Katastrophenschutz-Einheiten, die europaweit angefordert werden könnten, würde (…) dazu führen, dass das flächendeckende Schutzniveau in den Mitgliedsstaaten sinkt.“

Deutschland besäße ein effizientes und gut funktionierendes Katastrophenschutz-System und helfe durch nachbarschaftliche Hilfeleistungen anderen Ländern unbürokratisch und schnell, sagte der Minister. Die Gefahrenabwehr in den Ländern zu organisieren und zu stärken, sei ein bewährtes Prinzip des deutschen Hilfeleistungssystems. „Wir dürfen Ehrenamtliche nicht überfordern“, forderte Beuth.

So läuft das EU-Katastrophenschutzverfahren derzeit

Derzeit erfolgt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der EU hauptsächlich im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahren, dem so genannten Unionsverfahren. Das Verfahren ist in einem EU-Beschluss geregelt, wie der Website des Bundesinnenministeriums (BMI) zu entnehmen ist. Die EU-Kommission unterstütze bei der Koordinierung der Hilfseinsätze. Zudem fördere sie die Präventionskultur und leiste in einem engen Rahmen auch finanzielle Unterstützung, zum Beispiel bei den Transportkosten. Mit regelmäßigen, gemeinsamen Übungen und ständigem Erfahrungsaustausch würden die Fähigkeiten der nationalen Experten und ihre Einsatzressourcen erprobt und getestet.

Das Herz des Unionsverfahrens bildet laut BMI ein rund um die Uhr besetztes Lagezentrum: Das „Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (Emergency Response Coordination Centre; ERCC). Jede Großschadenlage wird hier registriert und aufgearbeitet. Hilfsersuchen und Hilfsangebote werden entgegengenommen, geprüft und weitergeleitet. Transporte werden koordiniert und auch organisiert. Einsätze werden mit Geoinformationen des Europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus unterstützt und begleitet.

Kritik am geplanten Systemwechsel

Dieses System zu ändern, stößt mancherorts auf Kritik. So äußerten in den vergangenen Monaten auch der Deutsche Feuerwehrverband und der Landesfeuerwehrverband Hessen Bedenken, bestehende Strukturen in Richtung Brüssel zu verlagern.

Hessens Innenminister plädiert stattdessen für eine Stärkung des europäischen Wissenstransfers im Bereich des Katstrophenschutzes und verweist auf die bestehende europäische Solidarität in Katastrophenlagen.

(12.04.2018; Fotos: Europäische Union)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Die Äußerungen des Herrn Beuth zeigen deutlich, wo Probleme im Bevölkerungsschutz liegen: unter anderem im falsch verstandenen Föderalismus und Subsidarität.
    Die Schutz- und Versorgungsstufen (1-4) setze ich als bekannt voraus. Die EU plant, für die Schutz- und Versorgungsstufe 4 – 5 Einheiten aufzustellen. Dadurch wird der Bevölkerungsschutz vor Ort in keinster Weise geschwächt – im Gegenteil: es stehen auf höherer Ebene Spezialressourcen zur Verfügung die angefordert werden können. Die Mär aus “Mein Feuer mach ich selber aus” haben wir doch eigentlich überwunden?! Wenn Einsätze zu groß werden für Kreisebene, wird Unterstützung auf Bezirksregierungs/Landesebene angefordert. Werden Einsätze, wie z.B. das Hochwasser 2013, bundeslandübergreifend werden Einheiten aus anderen Bundesländern zur Unterstützung herangezogen. Die Aufstellung von EU-Einheiten ist die logische Konsequenz daraus.

    Die EU stellt diese Einheiten nicht ohne Grund auf. Im EU-Gemeinschaftsverfahren im Bevölkerungsschutz können Mitgliedsstaaten Ressourcen und Einheiten melden. Wo ist eigentlich der deutsche oder hessische Beitrag? Beispiel Medizinische Task Force: laut Konzept ausschließlich für den Einsatz in Deutschland vorgesehen. Auslandseinsätze sind nicht vorgesehen. Ähnliches gilt auch für Einheiten aus Hessen. NRW zum Beispiel hat auch keine Einheiten die im EU-Gemeinschaftsverfahren gemeldet sind. Wenn die Mitgliedsstaaten da nicht mitmachen, funktioniert ein Gemeinschaftsverfahren nur eingeschränkt. In den letzten Einsätzen nach EU-Gemeinschaftsverfahren sind nämlich genau die Einheiten, die jetzt aufgestellt werden sollen, Mangelware gewesen.
    Mit ein wenig Glück trägt die Einrichtung von EU-Einheiten auch zum Etablieren von Standards bei.

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  2. @Jens von den Berken
    Die Kritik kann ich zumindest teilweise nachvollziehen. Aus langer Erfahrung muss ich sagen, das durch Einmischung der EU in nationale Angelegenheiten vieles nicht besser, sondern schlechter wird. Es ist jetzt schon möglich das sowohl Deutschland, als auch andere EU Staaten Hilfe aus anderen Ländern anfordern können. Diese wurde und wird ja auch praktiziert. In Holland hatte man beim Unglück im Feuerwerkslager auch auf Hilfe aus Deutschland zurückgegriffen. Beim Zugunglück in Bad Aibling ist auch Hilfe aus Österreich gekommen. Zudem wird bei Waldbränden und Erdbeben bei Bedarf auch Unterstützung aus Nachbarländern angefordert.

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