Medikamentengabe: Standards und Alternativen

intravenoeser-Zugang_580Bremen (rd_de) – Die Standard-Medikamentengabe erfolgt in der Notfallrettung intravenös. Doch es gibt auch Alternativen. Ob die Medikamentengabe nun zum Beispiel sublingual oder inhalativ erfolgt, hängt nicht zuletzt von der jeweiligen Situation ab. Eine Übersicht über Standards und Alternativen.

Die intravenöse (i.v.) Gabe von Medikamenten spielt in der Notfallmedizin die größte Rolle. Aufgrund des raschen Wirkeintritts und gesicherter Aufnahme sowie Verteilung im Körper eignet sie sich besonders für zeitkritische Situationen mit hohem Handlungsdruck. Sie setzt jedoch die Anlage eines i.v.-Zugangs voraus. Dies stellt bei manchen Patienten wie zum Beispiel Kindern, adipösen Menschen oder Patienten im Zustand nach einer Chemotherapie eine Herausforderung dar.

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In speziellen Situationen ist ein intravenöser Zustand sogar unerwünscht: beispielsweise bei Kindern, im Rahmen einer ambulanten Versorgung oder einer Nadelphobie.

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Rektale Medikamentengabe

An rektal zu verabreichenden Medikamenten werden für Kinder meist

•    Midazolam-Klistiere (Krampfanfall),
•    Kortikoid- (Pseudokrupp) und
•    Paracetamol- bzw. Ibuprofen-Suppositorien (Fieber)

vorgehalten. Aufgrund der langen Anschlagzeit und relativ geringen analgetischen Potenzen von Ibuprofen und vor allem Paracetamol sind Letztere für die Akuttherapie starker Schmerzen aber kaum geeignet. Über einen Rektalapplikator oder eine kurz abgeschnittene Infusionsleitung kann alternativ beispielsweise Ketamin verabreicht werden (Off Label Use).

Off Label Use

Wörtlich übersetzt bedeutet „Off Label Use“: der Gebrauch außerhalb des Etiketts bzw. der Kennzeichnung. Gemeint ist damit der Einsatz von bereits zugelassenen Arzneimitteln in einem nicht von der Zulassung umfassten Bereich. Mediziner und Juristen sprechen in diesem Zusammenhang vereinfacht auch von einem zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Arzneimittels.

Als Off Label Use gilt die Verordnung eines Arzneimittels, das zwar in Deutschland zugelassen ist, aber nicht für die beabsichtigte Indikation oder Patientengruppe. So ist von Off Label Use die Rede, wenn ein Patient ein Medikament zum Beispiel für die „falsche“ Krankheit, in einer „falschen“ Altersgruppe oder in der „falschen“ Dosierung verordnet bekommt.

Da sich die Zulassung nach Paragraph 22 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) aber nicht nur auf die einzelnen Indikationsbereiche, sondern unter anderem auch auf

• die Darreichungsform,
• die Dosierung,
• das Dosierungsintervall,
• die Art der Anwendung,
• die Anwendungsdauer,
• die Begleitmedikation,
• die Applikationsart,
• den Applikationsweg,
• die Gegenanzeigen und
• die zu behandelnde Patientengruppe

bezieht, stellt sich somit die Frage, ob nicht alle Abweichungen von der Zulassung unter dem Begriff des Off Label Use zu verstehen sind.

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Nasale Medikamentengabe

Eine Anschlagzeit von drei bis fünf Minuten wird bei der nasalen Medikamentengabe erreicht. Sie kann sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen angewendet werden. Bei Erwachsenen ergibt sich die Indikation meist dann, wenn es unmöglich ist, eine Venenpunktion durchzuführen.

Steht die Schmerztherapie im Vordergrund, empfiehlt sich die nasale Applikation. Dabei sollte ein Mucosal Atomization Device (MAD) verwendet werden. Es sorgt dafür, dass das Medikament durch Zerstäuben optimal auf der gesamten Nasenschleimhaut verteilt wird. Zu beachten ist, dass pro Nasenloch nicht mehr als 1 ml (besser: 0,5 ml) appliziert werden.

Als Medikamente für den nasalen Applikationsweg bieten sich

•    Ketanest,
•    Midazolam,
•    Morphin,
•    Fentanyl und auch
•    Naloxon

an. Aufgrund inkompletter Resorption muss die Dosierung im Vergleich zur i.v.-Gabe etwas erhöht werden. Neben der Behandlung akuter Schmerzen bietet sich das MAD auch zur Sedation und Anxiolyse (Bekämpfung von Angstzuständen), bei epileptischen Anfällen oder bei der Überdosierung von Opiaten an.

Intraossäre Medikamentengabe

Als Alternative zum i.v.-Zugang kann ein intraossärer Zugang gelegt werden. Je dringender ein Gefäßzugang benötigt wird und je schwieriger die venösen Verhältnisse sind, desto großzügiger ist die Indikationen für eine i.o.-Punktion zu stellen. Dabei handelt es sich um eine Infusion in den Gefäßraum des roten Knochenmarks.

Prinzipiell können alle Notfallmedikamente und Flüssigkeiten, die intravenös gegeben werden, auch intraossär verabreicht werden. Die Dosierungen und Volumina sowie Anschlagzeit und Wirkdauer entsprechen denjenigen der i.v.-Gabe.

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Endobronchiale Medikamentengabe

Diese Methode ist wegen unklarer Dosierung sowie Resorption und damit unkalkulierbarer Wirkung im Rahmen einer Reanimation in den Hintergrund getreten. Trotzdem eignet sich die Lunge zur (inhalativen) Medikamentenverabreichung. Beim Pseudokrupp, Asthma-Anfall und der exazerbierten COPD werden Kortikoide, Sympathomimetika wie Salbutamol oder Adrenalin und Anticholinergika, zum Beispiel Ipratropiumbromid, erfolgreich inhalativ eingesetzt. Diese wirken nicht nur lokal in den Bronchien, sondern werden über die Alveolen systemisch resorbiert.

Nitro-Spray_580Sublinguale Medikamentengabe

Sublingual werden vor allem

•    Nitrate (Nitrospray),
•    Ca-Antagonisten (Nitrendipin) und
•    Benzodiazepine (Lorazepam)

verabreicht. Erfahrungsgemäß lassen sich auf diesem Wege verabreichte Wirkstoffe gut über die durchblutete Schleimhaut rasch resorbieren. Sie entfalten dann unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes ihre Wirkung.

Eine sublinguale Therapie mit Nitrendipin oder Lorazepam bietet den Vorteil, keinen i.v.-Zugang legen zu müssen. Dies ist vor allem bei einer ambulanten Versorgung interessant. Für Nitrospray gilt dies allerdings nicht: Vor der Verabreichung sollte hier zwingend ein Zugang gelegt werden. Nur so können mögliche Blutdruckabfälle und Rhythmusstörungen rasch therapiert werden.

Subkutane Medikamentengabe

Die Applikation von (niedermolekularem) Heparin erfolgt im Krankenhaus überwiegend subkutan, wo es seine Wirkung langsam entfaltet. In der Notfallmedizin sind schnelle Wirkspiegel und gesicherte Resorption erwünscht. Aus diesem Grund wird Heparin intravenös gespritzt.

Intramuskuläre und orale Medikamentengabe

Eine intramuskuläre Medikamentengabe ist schmerzhaft und komplikationsträchtig. So drohen zum Beispiel Infektionen und Nervenschäden. Teilweise ist sie aber auch per se kontraindiziert, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Lyse.

Als Faustformel gilt: Die i.m.-Gabe ist in der Notfallmedizin sicher nie alternativlos und sollte daher keine Rolle spielen.

Oral verabreichte Medikamente setzen einen kooperativen Patienten, funktionierende enterale Resorption und das Tolerieren einer gewissen Zeitspanne bis zum Wirkeintritt voraus. Bereits letztgenannter Punkt macht eine orale Medikamentengabe für die Notfallmedizin unbrauchbar. Ausnahme: Clopidogrel. Es ist nur als Tablette erhältlich und wird beim ST-Hebungsinfarkt häufig bereits präklinisch gegeben.

(Text: Jürgen Auerhammer, Anästhesist, Notarzt, Ltd. Notarzt Landkreis Unterallgäu; Fotos: Markus Brändli; zuletzt aktualisiert: 01.10.2018)[2510]

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