Alten- und Pflegeheime: So stellt sich der Rettungsdienst auf eine MANV-Lage ein

Bremen (rd_de) – Kliniken sowie Alten- und Pflegeheime verfügen in der Regel über einen Brandschutzplan, der landläufig auch Feuerwehrplan genannt wird. Es handelt sich dabei um einen Gebäudegrundriss, der unter anderem Angriffswege, Löscheinrichtungen und Gefahrenschwerpunkte zeigt. Für Kräfte des Rettungsdienstes ist dieser Plan nur zum Teil hilfreich. Deshalb müssen sie andere Möglichkeiten suchen, um sich auf große Einsatzlagen in diesen Einrichtungen einzustellen.

Kritische Infrastruktur

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Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe definiert als Kritische Infrastruktur, „Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“.

Gefühlt vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Pflegeheim oder eine Klinik von einem Feuer heimgesucht wird. Ferner sind diese Einrichtungen besonders bei Hochwasserlagen oder von Infektionswellen betroffen. Bei derartigen Einsätzen sind immer wieder auch Tote zu beklagen.

Der Verlauf ist meist deshalb so dramatisch, weil es sich bei den Betroffenen in der Regel um Menschen handelt, die nur eingeschränkt mobil oder gar bettlägerig sind. Sie sind bei Rettungsaktionen daher auf fremde Hilfe angewiesen. Nur mit deren Unterstützung können sie den Gefahrenbereich rechtzeitig verlassen und Sammelräume aufsuchen.

Dasselbe gilt für besonders gesicherte Abteilungen, zum Beispiel Stationen für Forensik. Sie sind zusätzlich gesichert und können nicht so einfach verlassen oder betreten werden. Das heißt, auch diese Bewohner gelangen nur mit fremder Hilfe zu den Notausgängen oder Sammelplätzen.

FeuerwehrplanEvakuierung in Kliniken und Pflegeeinrichtungen: Dieser Trainerguide unterstützt bei der praxistauglichen Alarm- und Einsatzplanung für die Evakuierung von Kliniken und Pflegeeinrichtungen.

Gefährdungsanalyse erstellen

Soll zum Beispiel für ein Alten- oder Pflegeheim ein Einsatzplan erarbeitet werden, der ähnlich einem Feuerwehrplan funktioniert, primär aber für Rettungskräfte gedacht ist, muss zunächst eine Gefährdungsanalyse durchgeführt werden. Nur mit deren Hilfe kann eine verlässliche Bewertung des Objekts vorgenommen werden.

Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ist durch die jeweilige Alarm- und Einsatzzentrale das Objekt zu beplanen. Der Plan wird für die Alarm- und Ausrückeordnung zugrundegelegt. Sind die Resultate der Begehung und die gewonnenen Erkenntnisse im Alarmplan eingearbeitet, ist dieser nochmals mit allen Beteiligten durchzusprechen, bevor er im Rahmen einer Übung auf seine Effektivität überprüft wird.

Hiermit wird Phase zwei erreicht. Zur Planbesprechung müssen neben den Vertretern der zuständigen Behörden auch die örtlichen Führungskräfte des Brand- und Katastrophenschutzes eingeladen werden.

Auf unangekündigte Übungen sollte in Hinblick auf die Patienten bzw. Bewohner verzichtet werden. Vorab sind der Zeitraum, Umfang und Zweck der Übung bekanntzugeben. Als Patientendarsteller kommen nur Personen der beteiligten Einheiten infrage.

Bevor eine Großübung durchgeführt wird, ist es zweckmäßig, zunächst alle Maßnahmen im kleineren Umfang zu testen. So können die gewonnenen Erkenntnisse in die Vollübung mit aufgenommen werden. Bei der ersten Übung geht es dann nicht darum, wie viel Zeit ein Fahrzeug vom Standort zur Einsatzstelle benötigt. Vielmehr steht die Bewältigung der angenommenen Situation im Fokus.

Klink- und Pflegepersonal aktiv einbeziehen

Bei dieser Übung ist auch das Klink- und Pflegepersonal aktiv mit einzubinden. Die Mitarbeiter kennen die Patienten und sind für sie als Bezugspersonen wichtig. Das Pflegepersonal ist über das Krankheitsbild informiert und weiß zum Beispiel, ob ein Patient an einer ansteckenden Krankheit leidet, speziell gelagert werden muss oder psychische Erkrankungen vorliegen. Darüber hinaus verfügen sie über die erforderliche Ortskenntnis und Zutrittsberechtigungen, um externen Einsatzkräften zu helfen.

Die gesamte Übung muss von Beobachtern begleitet werden. Sie müssen als solche gekennzeichnet und über das Übungsziel informiert sein. Ihnen werden bestimmte Abschnitte zugewiesen, sodass sie gemäß ihrer Kompetenz beispielsweise die Maßnahmen der Brandbekämpfung, Menschenrettung, Kommunikation oder taktische Organisation beurteilen können.

Die Beobachtungen werden anhand eines einheitlichen Schemas dokumentiert, zum Beispiel mit Hilfe eines Bewertungsbogens. So ist gewährleistet, dass die Übungsergebnisse anschließend ausgewertet und verglichen werden können.

Die Übungsleitung kann nicht gleichzeitig die Einsatzleitung übernehmen. Deshalb muss sie räumlich getrennt von der Einsatzleitung untergebracht werden und fortwährend über den Stand und Verlauf der Übung informiert sein. Es obliegt ausschließlich der Leitung, die Übung jederzeit zu unterbrechen oder unter bestimmten Umständen vorzeitig zu beenden. Dies kann der Fall sein, wenn sich für die Beteiligten eine unvorhergesehene Gefährdung ergibt oder außerplanmäßig größere Sachschäden drohen.

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Übung auswerten

Für die Beteiligten ist es wichtig, ein objektives und nachvollziehbares Feedback zu erhalten. Nur so können Fehler erkannt und bei künftigen Einsätzen vermieden werden. Den beteiligten Einsatzkräften sollten bereits bei Übungsende erste Erkenntnisse mitgeteilt werden. Hierbei ist sehr sensibel vorzugehen. So dürfen keine Einzelpersonen öffentlich negativ kritisiert werden.

Stattdessen ist es ratsam, allgemeine Verbesserungspotentiale darzulegen. Dies steigert die Motivation zu weiteren Übungen, da die Teilnehmer sofort Verbesserungsvorschläge bekommen und jeder seine durchgeführten Maßnahmen reflektieren kann. Allen Beteiligten muss zudem die Möglichkeit gegeben werden, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse den Beobachtern mitzuteilen.

Wünschenswert ist es, die Übung mit denselben Kräften möglichst gleich im Anschluss noch einmal durchzuführen. So kann jeder Teilnehmer die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen und im zweiten Durchgang die alten Fehler vermeiden.

Erkenntnisse in Einsatzpläne übernehmen

Die Erkenntnisse der Übungsbeobachter bilden die Basis für den nächsten Schritt: Die gewonnenen Erkenntnisse müssen zeitnah in den Einsatzplänen aufgenommen werden. Im Abstand von ein bis zwei Jahren sind die Pläne sodann auf ihre Funktionalität und Praktikabilität hin zu überprüfen. Im Rahmen dessen muss auch kontrolliert werden, ob hinterlegte Telefonnummern noch aktuell sind und Dienststellen erreicht werden können.

Die Überprüfung muss nicht immer im Rahmen einer Übung erfolgen. Zum Teil genügt es, wenn einzelne Aspekte wie zum Beispiel die Erreichbarkeit wichtiger Personen anlässlich einer Dienstbesprechung überprüft werden. Auch dadurch werden alle Beteiligten regelmäßig an die Bedeutung des Katastrophenschutzes erinnert und sensibilisiert.

Dynamische Einsatzsimulation

Eine denkbare Option kann es sein, solch einen Fall im Vorfeld als dynamische Einsatzsimulation durchzuspielen. Eine dynamische Einsatzsimulation richtet sich primär an Führungskräfte und findet üblicherweise nicht im Freien als Vollübung, sondern in einem Raum statt. Patienten existieren deshalb auch nur in Form laminierter Karten. Aufkleber auf den Karten verdecken den medizinischen Zustand des Betroffenen und dessen Entwicklung über einen gewissen Zeitraum. Dieser erstreckt sich über fünf Phasen à 15 bis 20 Minuten.

Ein Set an Kladden und Aufklebern simuliert die Rettungsmittel – RTW, NEF, aber auch GW-SAN. Ferner wird differenziert zwischen tragbarem Material und Material, was im Schrank bleibt.

Countdown-Zähler stellen die Einsatzkräfte dar. Im regulären Fall wird im Verhältnis 1:1 geübt. Das bedeutet, ein Spieler hat eine Uhr und „spielt“ somit eine Einsatzkraft. Bei erfahrenen Gruppen kann man auch in einem 2:1-Verhältnis arbeiten. Dann bedient ein Spieler zwei Uhren und simuliert entsprechend zwei Einsatzkräfte.

Die Uhr dient aber nicht nur der Darstellung der Einsatzkräfte, sondern auch dem Zeitmanagement. Soll zum Beispiel ein Zugang gelegt werden, ist der Spieler an eine vordefinierte Zeit gebunden. Diese Zeit wird auf dem Countdown-Zähler eingegeben. Bis dass dieser klingelt, kann die Einsatzkraft keine weiteren Maßnahmen ausführen.

Mit der Simulation können auch die Themen „Vorsichtung“ und „Sichtung“ trainiert werden. Durch die verschiedenen Verletzungen und den dynamischen Verlauf der Patienten (sie reagieren auf die Maßnahmen) ist es erforderlich, regelmäßig eine Priorisierung vorzunehmen.

Damit möglichst viele mit diesem System üben können, bietet die DRK-Landesschule Nordrhein in Ahrweiler eine Trainerschulung für diese dynamische MANV-Simulationen an.

(Text und Foto: Uwe Kippnich, Dozent im Rettungsdienst, Krankenpfleger, OrgL, Örtlicher Einsatzleiter, EU-Team-Leader; 28.03.2018)[2617]

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