Telemedizin-Projekt zur Unterstützung des Bereitschaftsdienstes

(Bild: Stefan Greiber/Johanniter)Delmenhorst (JUH) – Ein insgesamt positives Fazit zogen die Partner des Projekts „116 117 – neues Versorgungsmodell für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst mit telemedizinischer Unterstützung von Gesundheitsfachkräften“ nach einem Jahr in der aktiven Phase.

„Wir haben keine einzige Beschwerde bekommen, dass kein Arzt zum Patienten kommt“, betont Helmut Scherbeitz, Geschäftsführer der Bezirksstelle Oldenburg der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Auch Dr. Daniel Overheu, Ärztlicher Leiter der Telemedizin an der Universitätsklinik für Anästhesiologie Klinikum Oldenburg, stellt fest: „Wir haben zu 100 Prozent positive Rückmeldungen bekommen.“ Das bundesweite Pilotprojekt wird ausgewertet, Patienten wie auch Ärzte und Rettungsdienst werden befragt.

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Ruft ein Patient den Bereitschaftsdienst an, fährt in diesem Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), des Zentrums für Telemedizin an der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Oldenburg AöR, und des Ortsverbands Stedingen der Johanniter-Unfall-Hilfe in den Städten Delmenhorst, Lemwerder und Ganderkesee kein Bereitschaftsarzt zum Patienten nach Hause. Stattdessen macht sich ein Notfallsanitäter oder examinierter Krankenpfleger der Johanniter auf den Weg. Dieser nimmt eine erste Untersuchung vor und kontaktiert bei Bedarf die Telemedizin am Klinikum Oldenburg. Dazu stellt er die Verbindung über ein spezielles telemedizinisches Gerät her, das Vitaldaten übermitteln kann und eine Videoübertragung aufbaut. Durch den Sichtkontakt kann sich der Arzt selbst ein Bild von der Situation beim Patienten machen. Falls der Arzt bei der Untersuchung entscheidet, dass eine Einweisung ins Krankenhaus notwendig ist, wird der örtliche Rettungsdienst gerufen.

Ziel ist, die medizinische Versorgung der Menschen vor dem Hintergrund des Ärztemangels auch weiterhin in der gewohnten Qualität aufrecht zu erhalten oder sogar zu verbessern. Mit der telemedizinischen Anbindung kann ärztliche Facharztexpertise besser zum Patienten gebracht werden, als es bisher im konventionellen Fahrdienst möglich ist. Alle Fachabteilungen des Maximalversorgers in Oldenburg können nötigenfalls eingebunden werden.

Zudem bietet das Telemedizingerät Möglichkeiten, die der normale Bereitschaftsarzt nicht hat. Zum Beispiel kann es ein EKG auslesen, das der Arzt im Klinikum sofort interpretieren kann. Im Einsatz sind die Gesundheitsfachkräfte der Johanniter jeweils am Wochenende von freitags, 21 Uhr, bis montags, 7 Uhr. Ausnahme sind die Zeiten, wenn die jeweilige Bereitschaftspraxis geöffnet hat. Die Rufnummer 116 117 wird entweder zur Telefonzentrale der Johanniter oder zur Bereitschaftspraxis geleitet.

In den vergangenen elf Monaten (vom 1. August 2018 bis 30. Juni 2019) gab es 273 Einsätze der Gesundheitsfachkräfte der Johanniter-Unfall-Hilfe. Davon wurde 158-Mal der Arzt im Klinikum konsultiert, 115-Mal konnte der Notfallsanitäter die Situation allein lösen. In 56,8 Prozent aller Fälle konnte der Patient zu Hause bleiben, in 31,9 Prozent wurde die Fahrt mit einem Rettungswagen oder dem Krankentransport ins Krankenhaus veranlasst.

Eine Zahl, die in dieser Höhe Experten nicht zu überraschen scheint: „Wer nur Schnupfen, Husten, Heiserkeit hat, sucht im Allgemeinen die Bereitschaftsdienstpraxis auf oder wartet bis zum nächsten Werktag“, sagt Helmut Scherbeitz, Geschäftsführer der Bezirksstelle Oldenburg der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Die Fälle, zu denen die Gesundheitsfachkräfte über 116 117 gerufen werden, seien durchweg schwerwiegender gewesen. Ob dieses Modell geeignet ist, den zunehmenden Mangel an Bereitschaftsärzten auszugleichen, ohne den Rettungsdienst zusätzlich zu belasten, wird nach Auswertung der Erfahrungen entschieden. „Wir sind aber davon überzeugt, dass dieses Modell bundesweit umgesetzt werden kann“, sagt Scherbeitz.

Die Zahl der Hausärzte wird als rückläufig prognostiziert. Etwa ein Drittel ist älter als 60 Jahre. Gehen diese in den nächsten Jahren in Ruhestand, drohen in einigen Regionen, besonders im ländlichen Raum, Versorgungsengpässe. Nur für rund ein Drittel der ausscheidenden Allgemeinmediziner gibt es einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Außerdem steigt der Anteil von Frauen.

„Der Bereitschaftsdienst ist ein Hemmschuh für die Niederlassung im ländlichen Raum“, sagt Dr. Christoph Titz, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KVN und des Bezirksausschusses in Oldenburg. Besonders die weiblichen Ärzte haben kein gutes Gefühl, nachts allein durch die Gegend zu fahren.

Die KVN versuche in mehreren unterschiedlichen Projekten Lösungen für dieses Problem zu finden. „Das Projekt 116 117 hat höchste Akzeptanz von Ärzteseite“, stellt Dr. Titz fest und hofft, dass es weitergeführt werden kann. Finanziert wird es bisher ausschließlich durch Fördergelder und Eigenmittel der Projektpartner. Geld von den Krankenkassen gibt es nicht, obwohl sie sonst die Einsätze der Bereitschaftsärzte bezahlen müssten.

Eine weitere Verbesserung entsteht durch die Entlastung der Hausärzte. Ein Arzt, der Bereitschaft hat, muss am nächsten Tag seine Praxis wie gewohnt öffnen – gleich ob er nachts oder am Wochenende im Einsatz war. Durch die Konsultation von Ärzten im Telemedizinzentrum werden die niedergelassenen Ärzte entlastet und können sich ganz den Patienten in ihrer Praxis widmen, was auch für diese eine Verbesserung darstellt.

Zudem soll verhindert werden, dass zunehmend statt des ärztlichen Bereitschaftsdienstes unter 116 117 die 112 gerufen werde. Dies führt zu einer Überlastung des Rettungsdienstes und der Notfallambulanzen der Kliniken. Die aber sind nicht dafür da, Husten, Kopfschmerzen und Bauchweh zu versorgen: „Rettungsdienst und Notfallambulanzen kümmern sich um lebensbedrohliche Notfälle“, betont Dr. Daniel Overheu.

Bei den Patienten kommt das System gut an, bestätigt Klaus-Dieter Berner vom Ortsverband Stedingen der Johanniter-Unfall-Hilfe. Die Johanniter sind oft schneller vor Ort. Problem sei aber noch die manchmal schlechte Onlineverbindung in der Testregion. „Bisher hatten wir keine Probleme“, betont Berner. Nur einmal sei in einem neu gebauten Pflegeheim kein Netz vorhanden gewesen. „Wir haben das Gerät dann zum Senden und Empfangen in die Terrassentür gestellt, dann ging es“, erzählt Berner. Die Datenpakete seien nicht einmal sonderlich groß, eine 3G-Verbindung sei vollkommen ausreichend. Trotzdem betont auch Dr. Overheu: „Wir haben schon im Wirtschaftsministerium deutlich gemacht, dass der Netzausbau im ländlichen Raum lebensrettend sein kann.“ Jetzt sei die Politik gefordert, für die entsprechenden Netzabdeckung zu sorgen.

Gefördert wird das Projekt „116 117 – neues Versorgungsmodell für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst mit telemedizinischer Unterstützung von Gesundheitsfachkräften“, das wegweisend sein kann für den ärztlichen Bereitschaftsdienst in der gesamten Bundesrepublik, vom Amt für regionale Landesentwicklung mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Diese Förderung endet am 31. Dezember 2019. Bislang ist die Anschlussfinanzierung noch nicht geklärt. Es droht daher das Ende des erfolgreichen Projekts, wenn keine neuen Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden. Die Krankenkassen beteiligten sich bislang nicht an diesem Projekt.

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